Hier einige Leseproben:
Herausforderungen
Was
dem Einen
erst Alpha ist
bedeutet dem Andern schon
Omega
Wege
Wann sind Wege eigentlich Kreise?
Führt die Spirale nach oben
oder vielleicht doch hinunter?
Wann narrt dich der so sichere
scheinbar vorgegebene Pfad?
Bist du unterwegs
auf M.C.Eschers
absurder Treppe?
Wer sagt dir,
wann du wohin
abbiegen sollst?
Oder willst?
Oder musst?
Rätsel
im Licht
oder Schatten…
Wie du sie löstest,
weißt du erst
ganz am
Schluss.
Das Deichschaf
Ein Deichschaf steht am Weidezaun,
ist stets von der Elbe getrennt;
kann ausschließlich hier nach Schiffen schau‘n,
es nur diesen Flussabschnitt kennt.
Ist stets von der Elbe getrennt –
weiß nichts von Mündung und Quelle;
da es nur einen Flussabschnitt kennt,
ist die ganze Welt diese Stelle.
Weiß nichts von Mündung und Quelle –
es gibt kein woher und wohin,
denn ist die Welt eine Stelle,
erschließt sich kein höherer Sinn.
Gibt es kein woher und wohin
und kann man nach Schiffen nur schau‘n,
erschließt sich kein höherer Sinn –
für Deichschafe am Weidezaun.
Zwei Hüte
Vor einem Jahr hatte ich beruflich in Ascona zu tun und da mein Kunde und ich viel schneller als geplant zu einem guten Abschluss gekommen waren, beschloss ich – vor meinem Heimflug – noch einen Bummel ans Ufer des Lago Maggiore zu machen. Dort nahm ich in einem kleinen Straßencafé Platz.
Ich sah mich um und verblüfft blieb mein Blick an einem merkwürdigen Paar zwei Tische weiter hängen:
Die Frau trug zu einem fast kindlich anmutenden rosa Kleid einen glänzend schwarzen Zylinder, während den Mann – unterhalb des Kopfes in der klassischen Urlaubsuniform Bermudas, geblümtes Hawaiihemd, weiße Tennissocken – ein riesiger, weißer Panamahut schmückte.
Augenblicklich war ich so fasziniert von den beiden gegensätzlichen Geschöpfen, dass ich mein ursprüngliches Vorhaben, nur ein kleines Getränk zu mir zu nehmen, änderte, und, nach einem kurzen Blick in die Speisekarte, einen Vorspeisenteller mit Meeresfrüchten und ein großes Wasser bestellte, um auf diese Weise genügend Zeit und Vorwand zu haben, die beiden unauffällig zu beobachten.
Waren sie ein Paar? Vielleicht gar ein Ehepaar?
Nein, beschloss ich spontan, beide machten einen entschieden unverheirateten Eindruck. Auch fehlte in ihrem Gespräch dieser gewisse Rhythmus zwischen Rede und Schweigen, der nur in langer Vertrautheit entstehen kann. Ein paar Fetzen ihres Dialogs wehten zu mir herüber, es war deutsch. Zwei Touristen, eindeutig.
Doch wie kamen sie zusammen an diesen Tisch? Was verband sie?
Die Gesten des Mannes waren weit und ausladend, während die Frau nur ab und zu ein hohes Kichern hören ließ und dabei ihre Hand verschämt vor den Mund schlug. Sie nahm einen Schluck aus ihrer winzigen Espressotasse, wobei sie ihren kleinen Finger geziert abspreizte. Diese Pause nützte der Mann, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Whisky-Cola-Glas, um anschließend beim Kellner zwei neue Eiswürfel zu ordern.
Nun schwiegen sie. Doch war es ein verlegenes Schweigen, ein Suchen nach einem Thema, offensichtlich getragen von dem Wunsch, das Gespräch fortzusetzen, den anderen nicht gehen zu lassen.
In diesem Augenblick wurde ich abgelenkt, da der Kellner den Vorspeisenteller servierte. Als ich wieder hinüberblickte, gestikulierten beide lebhaft, ihre Augen leuchteten, sie rückte ihren Zylinder keck ein wenig schräg, während er fast zärtlich über den Rand seines Panamahutes strich.
Und da dämmerte es mir.
Zwei Menschen erfüllten sich hier – weit weg von Zuhause, in der Anonymität eines fremden Landes, in der schwebenden Leichtigkeit des Südens, in der Besonderheit der Urlaubszeit – einen Traum. Den Traum von Zylinder und Panamahut, nicht heimlich und nachts daheim auf dem Balkon, sondern öffentlich und nachmittags in einem Café in Ascona.
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